Selbsthilfe für Skin Picker
Knibbeln, zupfen, quetschen, piddeln …
Jeder knibbelt mal an Pickeln und Hautunebenheiten. Das ist in gewissem Maße ganz normal. Doch manche drücken und quetschen täglich an ihrer Haut, bis Wunden und Infektionen entstehen. Die Stellen werden immer wieder geöffnet, manchmal über Wochen und Monate. Die Betroffenen schämen sich dafür, dass sie ihr Verhalten nicht unter Kontrolle haben. Sie verbringen oft viel Zeit mit Überschminken. Doch die Angst bleibt: „Jeder sieht es!“ Dieses Verhalten ist keine dumme Angewohnheit, sondern eine anerkannte psychische Störung. Seit 2013 ist Skin Picking in der Kategorie „Zwangserkrankungen und ähnliche“ im amerikanischen Diagnosemanual DSM-5 erfasst. Bald soll es auch in die für Europa wichtige Klassifizierung ICD-11 aufgenommen werden. Das macht es leichter, bei der Krankenkasse eine Psychotherapie zu beantragen.
„Lass es doch einfach bleiben!“
Diesen gut gemeinten Rat hat wohl jede/r Betroffene schon einmal gehört. Aber so einfach ist das nicht. Skin Picking ist eine psychische Störung. Von jemandem, der unter einer Depression leidet, verlangt man auch nicht: „Sei doch einfach wieder fröhlich!“ Wer seit Jahren oder Jahrzehnten knibbelt, kann nicht über Nacht aufhören. Geduld, Ausdauer und Selbstvertrauen sind nötig – Eigenschaften, die sich Skin Picker oft hart erarbeiten müssen. Es gibt zwar eine Menge gute Tipps und Hilfen, aber keine Patentlösung gegen Skin Picking. Jede und jeder muss ihren/seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Die Selbsthilfegruppe kann dabei helfen.
Was wissen wir über Skin Picking?
In der Wissenschaft ist die Klassifizierung als zwangsähnlich nicht ganz unumstritten, da Skin Picking auch als Störung der Impulskontrolle angesehen wird, ähnlich wie das krankhafte Haare ausreißen (Trichotillomanie). Skin Picking hat manchmal auch Züge von Sucht oder selbst verletzendem Verhalten. Aktuell versucht man, Betroffenen vor allem mit Mitteln der Verhaltenstherapie zu helfen. Doch die Therapiemöglichkeiten sind noch viel zu wenig auf Skin Picker ausgerichtet; es gibt keine Zahlen zu Therapieerfolgen.
Wer ist betroffen?
Schätzungen, die auf Befragungen basieren, schwanken zwischen 1,5 und 5 Prozent der Bevölkerung. Man kann also davon ausgehen, dass es allein in Deutschland mindestens eine Million Skin Picker gibt! In den meisten Fällen (70 bis 90 Prozent) sind es Mädchen und Frauen.
Wie fängt es an?
Ob in der Kindheit an Mückenstichen geknibbelt wird, in der Pubertät Pickel ausgedrückt werden oder im Erwachsenenalter individuelle Stress-Situationen zum Auslöser werden: Skin Picking kann in jedem Alter anfangen. Geknibbelt wird vor allem im Gesicht und am Hals, an Schultern und Dekolleté oder an der Nagelhaut. Aber auch an schwieriger zugänglichen Körperstellen
Warum und wie machen wir das?
Die Erfahrung zeigt, dass Skin Picking bei vielen eine Bewältigungsstrategie für tiefer liegende Probleme ist. Diese Probleme können weit in die Kindheit zurückreichen. Konkrete Auslöser sind meist Stress-Situationen, zum Beispiel eine Prüfung oder anderer Druck. Aber auch Langeweile kann Skin Picking auslösen.
Auffällig sind zwei unterschiedliche Skin-Picking-Typen: Die einen stellen sich bewusst vor den Spiegel und zelebrieren ihre Knibbel-Attacke. Dabei geraten sie in einen tranceartigen Zustand, den sie als angenehm empfinden. Andere tun es nebenbei und (fast) unbewusst, während sie lesen, fernsehen oder am Computer sitzen. Es gibt aber auch „Mischformen“.
Bin ich ein Skin Picker?
Vielleicht hast Du Dein Verhalten hier wiedererkannt. Wir finden es sinnvoll, die folgenden Punkte mit Dir selbst abzuklären (wobei „knibbeln“ hier auch stellvertretend für quetschen und zupfen steht):
Verursacht das Knibbeln mir emotionales Leid?
Hält mich das Verhalten davon ab, unter Menschen zu gehen?
Habe ich das Gefühl, wegen meines Knibbelns im Leben eingeschränkt zu sein?
Halte ich das Knibbeln aus Angst vor negativen Urteilen geheim?
Schäme ich mich meines Knibbelns, kann aber trotzdem nicht damit aufhören?
Fühle ich mich wegen meines Knibbelns allein?
Wenn Du mehrere Fragen mit „ja“ beantwortest, weißt Du schon einmal: Es liegt etwas im Argen. Diese Fragen können zwar keine professionelle Diagnose ersetzen. Aber es schadet nicht, wenn Du in die Selbsthilfegruppe kommst.
Lerne andere kennen!
In der deutschen Öffentlichkeit ist Skin Picking noch so gut wie unbekannt. Auch viele Hautärzte und Psychotherapeuten kennen es nicht. Doch das ändert sich allmählich.
Im Internet gibt es Foren und Gruppen, in denen Betroffene sich anonym austauschen. Das ist gut und wichtig, aber nicht alle mögen die Kommunikation im virtuellen Raum, ganz ohne ein echtes Gegenüber aus Fleisch und Blut (und Haut). Deshalb haben wir 2010 in Köln die erste Selbsthilfegruppe gegründet. Wir treffen uns zweimal im Monat zum Austausch über Skin Picking und andere Themen, die uns gerade beschäftigen. Mehrmals im Jahr veranstalten wir Workshops zu gesunden Bewältigungsstrategien. Wir treffen uns auch zu Freizeitaktivitäten. Im Jahr 2018 haben wir in Köln den ersten Kongress zu Skin Picking und Trichotillomanie veranstaltet: Die Skin Picking und Trichotillomanie Tage – mit rund 20 Vorträgen von Wissenschaftlern, Therapeuten und Betroffenen und rund 100 Teilnehmern.
Was wollen wir erreichen?
Wir wollen in der Selbsthilfe die Eigenverantwortung stärken. Wir haben herausgefunden: Es ist unglaublich erleichternd, nach langen Jahren der Scham endlich Menschen zu begegnen, die das gleiche Problem haben – und alle damit verbundenen Sorgen und Nöte sehr gut verstehen. Die Auseinandersetzung mit dem persönlichen Skin Picking ist unverzichtbar für den Weg zur Lösung. Die Selbsthilfe ist ein geschützter Raum, in dem wir uns gegenseitig unterstützen und auch Aktionen planen, um das gesellschaftliche Bewusstsein für Skin Picking zu wecken. Du kannst anonym mitmachen, geschminkt oder ungeschminkt zu den Treffen kommen oder auch nur per Internet mit uns in Kontakt treten – ganz wie Du magst!
Du bist nicht allein: Nimm Kontakt zu uns auf!
Unter www.skin-picking.de findest du unsere nächsten Termine und viele weitere Informationen, zum Beispiel Therapeuten-Adressen, weitere Selbsthilfegruppen und vieles mehr.